FAST FASHION: WARUM UNVERKAUFTE MODE NICHT MEHR VERNICHTET WERDEN DARF

Will keiner den Pulli haben, wird er geschreddert: So läuft das bislang oft, aber die EU verbietet nun die Vernichtung von fabrikneuer Kleidung. Wird nun weniger Mode produziert – oder Ladenhüter einfach NOCH billiger?

Das bestellte T-Shirt gefällt nicht und geht zurück an den Verkäufer, die Hose liegt wie Blei im Laden: Bisher werden zurückgeschickte Kleidungsstücke oft einfach vernichtet. Nach dem Willen des Europaparlaments soll sich das in Zukunft ändern. Woran das liegt und was das bringen könnte: der Überblick.

Das Problem: Klamotten, Klamotten, Klamotten – und noch mehr Klamotten

In Deutschland und Europa sind die Kleiderschränke voll. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums kauft schon heute jeder Deutsche im Schnitt 60 Kleidungsstücke im Jahr, durch den Onlinehandel steige diese Tendenz noch. Oder: immer noch. Denn die Kleidungsproduktion hat sich demnach seit der Jahrtausendwende bereits verdoppelt.

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Besonders problematisch ist in den Augen vieler Beobachter die sogenannte Fast Fashion: Kleidung, die in großer Stückzahl preiswert produziert und angeboten wird, oft ohne zu viel Rücksicht auf Mensch und Umwelt – und oft unverkauft. Überproduktion gehört offenkundig zum Geschäftsmodell, nach einer Expertinnenschätzung wird jedes dritte weltweit produzierte Kleidungsstück nie verkauft.

Und was passiert mit dem, was niemand haben will? Diese Kleidung wird etwa tonnenweise geschreddert, geht unsortiert in die Verbrennung – oder landet buchstäblich in der Wüste. Von einiger Bekanntheit ist etwa ein Berg aus ausrangierter Kleidung, der sich in der Atacama-Wüste im Norden Chiles erhebt, ein Endlager für Fast-Fashion-Mode.

Die Lösung des Europaparlaments: Eine neue Ökodesignverordnung

In die Wüste Südamerikas reicht der Arm der EU nicht, aber zumindest in den Mitgliedsländern soll das Vernichten von nicht verkauften Textilien und Schuhen in zwei Jahren – im Fall kleinerer Unternehmen sind es sechs – nicht mehr möglich sein. Geregelt wird das in der neuen Ökodesignverordnung, die das Europäische Parlament am Dienstag mit überwältigender Mehrheit verabschiedet hat. Ebenso unter die Regelung fallen Elektrogeräte, außerdem gibt es die Möglichkeit, Vernichtungsverbote für weitere Produktgruppen einzuführen.

»Vernichtung« wird dabei sehr weitläufig verstanden, es handele sich um die »absichtliche Beschädigung oder Beseitigung eines Produkts als Abfall«. Ausgenommen sind nur Re- und Upcycling sowie Wiederaufarbeitung. »Es ist an der Zeit, das Wirtschaftsmodell einer Wegwerfgesellschaft – ›nehmen, herstellen, entsorgen‹ – zu beenden«, sagte die sozialdemokratische italienische Abgeordnete im Europäischen Parlament, Alessandra Moretti, im Zuge der Erarbeitung der Verordnung im Dezember.

Das Ziel der Verordnung ist klar: Natürlich soll es nicht primär darum gehen, Unternehmen zum Recycling nicht verkaufter Hosen zu zwingen. Stattdessen geht es um die Überproduktion: Die Hose, die später nicht verkauft wird, soll nach Möglichkeit gar nicht erst produziert werden. »Das Verbot allein wird die Überproduktion nicht beenden, aber hoffentlich wird es die Marken dazu zwingen, besser organisiert, verantwortungsbewusster und weniger gierig zu sein«, sagte Nachhaltigkeitsberaterin Philippa Grogan dem Magazin »Vogue Business«.

Aber klappt das denn?

Expertinnen und Experten bewerten die Verordnung vielfach als Schritt in die richtige Richtung, haben jedoch auch Zweifel an der Wirksamkeit. Es handele sich um eine »klare Ansage gegen Fast Fashion«, sagte Berndt Hinzmann von der entwicklungspolitischen Organisation Inkota dem SPIEGEL. Ein großes Problem sei allerdings die Nachprüfbarkeit. »Das ist im stationären Handel schon schwer zu kontrollieren, ob nicht verkaufte Mode wirklich nicht vernichtet wird. Aber wie wollen Sie das bei einer Onlineplattform kontrollieren?« Die Verordnung enthalte dazu keine zufriedenstellende Aussage.

Zudem bleibt das Problem: Kleiderberge außerhalb der EU werden überhaupt nicht erfasst. »Was es bräuchte, wäre eine weitere Verordnung, die zum Beispiel den Export solcher Kleidung regelt«, sagt Hinzmann. Wobei auch diese nicht die Kleidung erfassen würde, die außerhalb der EU für diese hergestellt wird, aber nie dort ankommt.

Auch die in der Verordnung vorgesehenen Ausnahmen sorgen für Kritik. »Unverständlich und kontraproduktiv sind jedoch die teilweise sechs Jahre langen Übergangsfristen. Die Zerstörung von unverkauften Waren muss jetzt enden«, sagte Lisa Panhuber, Kreislaufwirtschaftsexpertin bei Greenpeace in Österreich, dem SPIEGEL. Dennoch würdigt auch die Umweltschützerin den Grundgedanken hinter dem Vorhaben. »Das ist ein wichtiges Signal an die Konzerne.«

Und was ist mit Kleidung, die einfach nicht gut aussieht?

Was tragen wir eigentlich diesen Sommer? Welche Trends bestimmen den Frühling im Jahr 2025? Das Schwierige bei Mode ist – dass sie Mode ist. »Es wird in dem Sektor immer Bereiche geben, wo man danebenliegt«, sagt Jörg Funder, Professor für Unternehmensführung im Handel an der Hochschule Worms, dem SPIEGEL. Folglich sei es für Hersteller schlicht nicht möglich, keinen Ausschuss zu produzieren. »Es müssen neue Wege gefunden werden, was man mit solchen Waren machen kann.« Das sei gegenwärtig nicht geregelt. Und gegenwärtig sei es in Deutschland nicht mal möglich, solche Ware zu verschenken.

Geschieht das nicht, fürchtet Funder, dass das Vernichtungsverbot schlicht umgangen wird. »Ich gehe davon aus, dass Textilunternehmen Vermarktungsfirmen außerhalb der EU gründen oder einsetzen, die Ware dorthin verkaufen – und die sie dann verbrennen.«

Wird Mode jetzt sogar noch billiger?

Oder wäre vielleicht noch ein weiteres Szenario denkbar? Eines, in dem Hersteller nicht etwa auf die Überproduktion von Textilien verzichten, sondern diese für fast gar kein Geld verschleudern statt sie, wie heute, zu vernichten? Sodass wir schließlich Dutzende von T-Shirts in unserem Schrank haben, die wir noch nie getragen haben? Berndt Hinzmann von Inkota glaubt nicht, dass das die Zukunft ist – weil es die Gegenwart ist. »Überproduktion ist Teil des Geschäftsmodells von Fast Fashion, um auf Nachfrage unmittelbar reagieren zu können. Es gibt zu viel Ware und die wird zum Teil weit unter den Produktionskosten abverkauft, beispielsweise als Aktionsware. Das ist heute schon Fakt.«

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